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Von Otto Reiter.

Keine Kinogeher und doch Visionäre

Momentaufnahme Slowakei


Der tschechische Film ist international ein Begriff. Aber wie ergeht es der Szene in der seit 1993 unabhängigen Slowakei?


Schon in der alten Zeit der Tschechoslowakei und des Kommunismus gab es slowakische Film-Visionäre, die sich dem offiziellen Redeverbot widersetzten: Elo Havetta, Dušan Hanák und Juraj Jakubisko. Elo Havetta wählte den Selbstmord, Dušan Hanák das Schweigen und Juraj Jakubisko rettete sich mit Zeichnungen fürs Rote Kreuz über die vielen Jahre der Verhinderung.

Havetta ist nicht mehr, Hanák, der mit „Obrazy starého svĕta“ (Bilder aus der alten Welt) 1988 für immer in die Filmgeschichte eingegangen ist, hat seit acht Jahren keinen Film mehr gedreht und Jakubisko lebt seit vielen Jahren in Prag, als Produzent und weit entfernt von der anarchischen Qualität seines Frühwerks.

Zum Glück gibt es den Slowaken Martin Šulík (geb. 1962), der seit 1991 fünf Spielfilme gedreht hat und sein Heimatland nicht verlassen will – sondern ganz im Gegenteil mit seinen Filmen („Tenderness“, 1991, „Alles was ich mag“, 1992, „Der Garten“, 1993, und „Krajinka“, 2000) vor allem seine Landsleute mit bitter-romantischen Warnzeichen sowohl irritieren, als auch an die Vergangenheit erinnern will. Schon der Titel seines jüngsten Films „Krajinka“ (Kleines Land) wurde leider häufig als Provokation gegen die Slowakei verstanden. Mit dem abschließenden Satz „Dieses Land wird es nie wieder geben, nur eine kleine Landschaft wird bleiben“, machte der Film viele der wenigen Zuschauer sprachlos.

Verwundert hat das Martin Šulík nicht unbedingt: „Unsere Erinnerung ist fast schon krankhaft verkürzt und ein kulturelles Gedächtnis existiert überhaupt nicht mehr. Sind die 30.000 Zuschauer, die meinen Film gesehen haben, nun viele oder wenige in einem Fünf-Millionen-Land? Ich weiß es nicht, weil die Menschen ja auch nicht zu den US-Blockbustern in die Kinos der neuen Shopping-Center strömen.“ Tatsächlich befindet sich die Slowakei am untersten Ende der europäischen Kinobesucherstatistik.

Wurden 1990 noch elf Spielfilme gedreht, waren es in den vergangenen Jahren gerade mal ein bis zwei. Für die Koliba-Studios in Bratislava interessiert sich schon lange niemand mehr. Die vor wenigen Jahren groß angekündigte Neuverfilmung des ersten slowakischen Spielfilms „Janosik“ (1921, Regie: Jaroslav Siakel) versandete irgendwo, irgendwie. Doch manchmal und viel zu selten wird die öffentliche und private Apathie durchbrochen und Martin Šulík kann sich sogar freuen, wenn auch über Kritik in der Zeitschrift „Zmena“: „Endlich klare Worte, klare Feindschaft.“ Was war dort zu lesen? Šulík würde alle traditionellen slowakischen Werte in den Schmutz ziehen, mit vulgärer Sprache alle heimischen Familien als krank denunzieren und vor allem hätte er seinen Film mit jüdischem Geld finanziert.

Erschütternd auch die Bestandsaufnahme der 1939 geborenen slowakischen Journalistin und Filmregisseurin Kamila Kytková: „In den letzten 15 Jahren hat es in Tschechien viele demokratische und befreiende Veränderungen gegeben. Nicht so bei uns in der Slowakei. Die Katharsis der Samtenen Revolution haben wir nicht selbst erlebt. Die paar intelligenten Köpfe haben sich wie in den siebziger Jahren in ihre Wohnungen zurückgezogen. Alle fürchten sich, ihre persönliche, vor allem ökonomische Sicherheit zu verlieren.“

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2004



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